Kein Studium im Hörsaal oder im Keller für Bahais
Irans Behörden gehen gegen die Untergrund-Universität der
religiösen Minderheit vor
Berlin (taz) - Als die Beamten des iranischen
Informationsministeriums 530
Häuser durchsuchten, ausraubten und dabei 36 Personen festnahmen,
wollten sie ein
landesweites Netzwerk konspirativer Bildung zerstören. Sie nahmen
alles mit, was
nach Lehrmitteln aussah: Papiere, Bücher, Möbel und
Kopiergeräte. Benutzt wurden
sie von Jugendlichen, die im Iran nicht das Recht haben, an einer
ordentlichen
Hochschule zu studieren.
In der Behörde angekommen, legten die Beamten den Verhafteten Ende
September eine
Erklärung zur Unterschrift vor: Die Bahai-Universität, an der sie
bislang
unterrichteten, sei ab sofort aufgelöst; sie stünden als
Lehrkräfte nicht länger
zur Verfügung. Die Festgenommenen weigerten sich zu unterschreiben.
Die meisten
von ihnen wurden mittlerweile wieder freigelassen.
Mit den Plünderungen in 14 iranischen Städten zerstörte das
Informationsministerium die Infrastruktur der Bahai-Hochschule, die seit
1987
aufgebaut wurde. Sie war für junge Bahai die einzige Möglichkeit,
im Iran zu
studieren. Denn an einer staatlichen Hochschule würden Bahai nur zur
Ausbildung
zugelassen, so eine junge Frau, wenn "du sagst, du seist eine Muslimin
und wenn
du dein Foto in die Zeitung setzt und öffentlich erklärst, du
seist Muslim".
Die Bahai müssen bereits seit der islamischen Revolution im Iran 1979
mit dem
Studierverbot leben. Der Oberste Islamische Kulturrat formulierte diese
Politik
1991 in einem geheimen Regierungspapier zur "Bahai-Frage".
Bahai-Jugendliche
sollen demnach "von den Universitäten entfernt werden, entweder
während des
Zulassungsvorgangs oder inmitten ihres Studiums, wenn bekannt wird,
daß sie Bahai
sind".
Das Studierverbot hatte zunächst Frustration ausgelöst. Tausende
junger Bahai
flohen ins Ausland. Doch die Zurückgebliebenen wollten nicht
länger zusehen, wie
ihre Kinder des Rechtes auf Bildung beraubt werden und entschlossen
sich, eine
eigene Universität aufzubauen.
Sie gründeten einen dezentralen akademischen Lehrbetrieb in privaten
Wohnzimmern,
Büros und Kellerräumen. Statt in Uni- Laboratorien experimentierte
der
Chemiestudent alleine im Keller, die Informatikerin besuchte
unauffällig einen
Bahai, der einen Computer besitzt, und die Jurastudentin verließ ihr
Heim nur, um
in einem fremden Haus eine Prüfung abzulegen. Eine US-amerikanische
Partnerhochschule in Indiana nahm den Studenten per Post
Abschlußprüfungen in
zehn Studiengängen ab. Mehr als 200 Kurse haben ehrenamtlich
arbeitende
Hochschullehrer und Studenten via Korrespondenz abgehalten, ohne sich
namentlich
zu kennen.
"Viele der Bahai-Studenten im Iran studieren, weil es eine Art des
Kampfes ist,
ähnlich dem Ghandis", schildert ein junger Bahai den gewaltfreien
Widerstand.
"Wenn die Behörden einem die Bildung verweigern, einen nicht
studieren lassen,
will man ihnen zeigen, daß man sehr wohl studieren kann." 900
Studenten führten
bislang diesen Kampf mit Erfolg: Sie haben einen Studienabschluß.
Das Vorgehen der Behörden gegen die Untergrund-Universität
löste bei den
Anhängern der Bahai-Religion, der größten religiösen
Minderheit im Iran, große
Sorgen aus. Die Situation der rund 300.000 Bahai hat sich bereits in den
letzten
Monaten verschlechtert: Nach sechsjähriger Pause wurde Anfang Juli
ein Bahai in
der ostiranischen Stadt Maschhad hingerichtet. Sechs weiteren droht
jetzt die
Vollstreckung ihres Todesurteils. Nun setzt der Staat neue Nadelstiche
gegen
seine Bürger ein, weil sie einer Minderheit angehören, die die
schiitische
Orthodoxie als "Abtrünnige" bezeichnet und verfolgt. Die Regierung
will
anscheinend verhindern, daß auch nur ein Bahai im Iran studieren kann
- sei es im
Hörsaal oder im Keller.
Isabel Schayani
TAZ Nr. 5705 vom 07.12.1998 Seite 10 Ausland 116 Zeilen
TAZ-Bericht Isabel Schayani
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